Ein dickes Buch- und ich meine eins, das nicht nur dick aussieht, sondern wirklich viele Seiten hat- lese ich tendenziell eher ungern. Zuviel Zeit kostet es, die ich mit anderen tollen Büchern verbringen könnte. Richard Russos „Diese gottverdammten Träume“ stellt da eine der wenigen Ausnahmen dar.

Nein, in Empire Falls, dem US-amerikanischen Heimatort der Hauptfigur Miles passiert nicht viel. Miles selbst wollte weg von hier, schafft es auch kurz für ein Studium und kehrt dann doch wieder nolens volens zurück, um eine Kneipe zu führen. Er heiratet, hat eine Tochter, eine Fast-Ex-Frau, die dann doch nicht ganz aus seinem Leben verschwindet. Um Miles sind auch sein Vater, es gibt einen Rückblick auf seine mittlerweile verstorbene Mutter und viele andere, mit denen er teils lose verbunden ist.

Warum habe ich mich über 749 Seiten von Miles und seiner Welt begleiten lassen? Für mich war das Buch eines, das immer noch eine Lage drauflegt. Der Autor analysiert die Figuren von vielen Seiten und erschafft nach und nach ein Bild eines gewöhnlichen Orts und gewöhnlicher Leute. Und gerade das macht es unglaublich anziehend. Jede Person schillert und wird großzüge behandelt.

Ganz dick aufgetragen: Er zeigt mir, was Leben bedeutet. Der skurrile, teils rücksichtslose Vater hat hier ebenso seine liebenswerten Seite wie die fitnessversessene Ex. Aus Miles Sicht wird hier genauso wenig jemand verurteilt wie aus der des Autors.

Das hat die Lektüre für mich so sympathisch gemacht und auch dazu geführt, dass ich keine anderen Bücher daneben lesen wollte. Wo ich doch sonst durchaus ein „polygamer“ Leser bin.

Also Leute, nach den 748 Seiten könnte es Euch so wie mir gehen: Ein Vermissen der Figuren, ein Bedauern, dass dieses Buch zu Ende gehen musste. Vielleicht müssen wir das nächste Mal wieder Proust lesen, der zwar ganz anders ist, aber genauso ein Kaleidoskop der Ansichten und Personen schafft wie Richard Russo.