Was ist besser: Paar oder Single? Jeder kann nur seinen eigenen Weg gehen, erzählt uns die schlichte Graphic Novel- und selbst der ändert sich.

Ideal- welches Leben ist das schon? Claire, mollig, mit 35 gefühlt kurz über dem Zenit der Fruchtbarkeit, lebt einer Illusion hinterher. Einen Mann will sie finden und mit ihm ins ewige Familienglück einsteigen. Doch im Lauf des Buchs ändert sie ihre Einstellung und ihre Wünsche- nicht zu ihrem Unglück.

Zu Beginn des Buchs sieht man Claire in einer Szene, wie sie alltäglicher kaum kein sein könnte: Frau im Bad. Da braucht es keine Worte, die Bilder erzählen schonungslos und lustig jedes Detail des Sich-Hübsch-Machens für einen weiteren Tag aus einem ganz gewöhnlichen Leben. Eine von vielen wird hier dargestellt- typisch, aber doch besonders, wie sich im Laufe des Buchs zeigt.

In Aude Picaults Graphic Novel „Ideal Standard“ ist an der Oberfläche alles locker und einfach. Darunter jedoch findet eine moderne, kritische Entwicklung einer Frau statt, die immer mehr alles in Frage in stellt. Ihren Beruf als Krankenschwester für Frühgeburten liebt Claire- wegen der Kollegen, wegen der Babys. Die jungen Eltern, die sie dort kennenlernt, betrachtet sie freundlich und verständnisvoll. Sie sieht die Menschen und ihre Besonderheiten, sie erkennt Möglichkeiten und Probleme.

Hoffnungsfroh sieht Claire auf dem Cover aus. Sie steht hier auf einer Rolltreppe- es soll aufwärts gehen in ihrem Leben. Das Aufwärts wäre für sie zu Beginn der Einzug in eine glückliche Beziehung mit gemeinsamer Wohnung und mindestens einem Kind. Am Ende des Buchs hat Claire mehr Möglichkeiten im Blick, wie ihr Leben aussehen kann: Ihre Freunde, eine Weiterbildung- vieles scheint auf einmal offen und möglich.

Claires Treffen mit Männern werden zu Desastern, keiner passt so richtig. Schon nach wenigen Treffen zeigt sich deren Bindungsunfähigkeit oder doch zumindest -unwilligkeit. Der Erste, mit dem sie dann doch länger zusammen bleibt, stellt sich auch nicht als Idealbesetzung heraus- zu verschieden sind die Interessen, zu wenig liebevoll ist er ihr gegenüber. Und so bleibt das erträumte Familienglück Teil der rosa gezeichneten Gedankenblasen Claires. Weil Claire für sich feststellt, dass es besser sein kann allein zu bleiben als mit jemandem zusammen zu sein, der nicht passt.

Claires rosa Blasen vom vorgestellten Glück zerplatzen eine nach der anderen. Heraus kommt dabei aber nicht eine entmutigte, verbitterte Frau. Ganz im Gegenteil bricht Claire am Ende des Buchs nochmal ganz neu auf in eine neue Wohnung, ins Ungewisse. Am Ende scheint sie sich dabei näher zu sein als jemals zuvor.

Das Buch gibt keine einfache Welterklärung oder Lösung. Es propagiert nicht den Niedergang aller Beziehungen oder glorifiziert das Singledasein. Auch die Freunde Claires, die in festen Beziehungen mit Kindern leben, sind nicht nur verzweifelt oder nur glücklich. Knapp und treffend stellt Aude Picault ihre Sichtweisen und Probleme genauso dar wie die der Singles. Das Ideale, den einen wahren Standard, den gibt es eben nicht.

Und ebensowenig hat die Graphic Novel ein einfach gestricktes Hollywoodende. Kein ewiges Glück, keine klare Lösung, sondern wieder eine Momentaufnahme. Auf mich hat es so gewirkt als hätte Claire sich von vielen Illusionen befreit. „Was kann man dir wünschen?“, fragen die Freunde. Sie antwortet: „Dass ich nicht mehr auf Stand-by bin. Dass ich glücklich bin, im Hier und Jetzt. “ Picault zeichnet ein vielschichtiges Porträt einer heutigen Gesellschaft, die auf der Suche ist nach neuen Verhaltensweisen jenseits alter Rollenbilder. Hier schlingert jeder einmal und der Komplexität des einzelnen Lebens ist nur mit Nachsicht und Humor beizukommen.

Mit nie mehr als den drei Grundfarben (in Pastell) und einem Strich, der an Sempé erinnert, entsprechen die Zeichnungen der Lakonie der Geschichte. Eine runde Sache, die hinter einer schlichten Oberfläche viel zeigt!

Reprodukt, 24 Euro