Tonio ist eine alte Liebe von mir. Als Jugendliche bin ich mit Walkman und Kopfhörer durch den Schnee gestapft und ließ mir Tonio Kröger vorlesen . Und zwischendrin hab ich immer gemurmelt: „Genau, so ist es, ganz genau!“. Kaum 25 Jahre später fand jetzt eine erneute Begegnung mit Tonio in meinem Literaturkreis statt. Man merkt an der Verwendung des Vornamens- er ist mir immer noch recht nahe.
Schnell erzählt ist der Inhalt der kurzen Erzählung. Tonio Kröger blickt erst auf seine Kindheit und Jugend und später auf seine Gegenwart als erfolgreicher Schriftsteller. Leitmotivisch bleibt, dass Tonio Kröger sich zu den sogenannten „Blonden“ hingezogen fühlt, also zu den Menschen, die das Leben frisch und unbeschwert sehen. Er hingegen, immer schon Dichter und Grübler, wäre einerseits auch gerne so frei, ist sich aber andrerseits dann doch ganz lieb in seiner Reflexion und seiner Möglichkeit, die Dinge komplexer zu sehen und ganz in der Literatur aufzugehen.
Natürlich, man kann einiges gegen das Büchlein und vielleicht auch immer wieder gegen Thomas Manns Werk einwenden. Ist da nicht viel Selbstmitleid in dieser doch recht autobiographisch gefärbten Erzählung? Ist da nicht ein Künstler, der sich viel zu sehr über die „Blonden“ erhaben fühlt? Der die Welt unterkomplex als „die“ und „ich“ sieht, verurteilt und herablassend ist? Da kommt es wohl aufs Lesertemperament an, wie gut man diese Haltungen aushalten kann.
Was hat mich so fasziniert, damals? Diese Heimat, die die Literatur Tonio geboten hat und gleichzeitig auch eine Faszination und Verwunderung über das, was viele Gleichaltrige getan haben. Und ein Wiedererkennen eines Fremdseins, das Gefühl schon sehr anders zu sein. Wie weit das jemals stimmte, für Mann, Tonio oder mich, sei dahingestellt.
Mir hat das Büchlein jedenfalls damals ein wenig geistige Heimat gegeben und Thomas Manns Sprache hat mich fasziniert- der Wortreichtum, der ein echter Wort-Schatz ist. Und auch die Art, die Welt in einfach Denkende und Komplexe zu unterteilen, hat den Orientierung suchenden Teenager in mir erleichtert und gefreut.
Auch heute noch finde ich, dass in „Tonio Kröger“ viel Bedenkenswertes steht, dass man auf hervorragende Figuren in farbiger Lebendigkeit trifft. Tonio selbst, die blonde Inge, der Tanzlehrer Knaak, aber auch Lübeck erwacht mit wenigen Strichen zu einem plastischen Leben. Und wenn man über einen gewissen Dünkel locker hinweglesen kann, dann ist Thomas Mann ein unvergleichlicher Schriftsteller, der jedes Wiederlesen verdient hat.
Schreibe einen Kommentar