Ihre Majestät belieben wohl der Lektüre zu frönen?!
Die Queen schert aus. Nein, nicht durch Skandale, sondern ganz subtil. Im fortgeschrittenen Alter wird sie zur Leserin und vollbringt damit eine große innere Wandlung. Durch die Literatur interessiert sie sich immer weniger fürs Regieren, dafür aber mehr für die Menschen und die Welt um sie herum. Das ist überraschend, leichtfüßig gemacht und hat mich oft zum Lachen gebracht.
Also, worum geht es? Die königlichen Hunde verhalten sich alles andere als es von edlem Geblüt zu erwarten wäre und toben unmajestätisch durch den Palasthof. Die Queen pfeift sie zurück und kommt bei der Gelegenheit zufällig erstmals zum Bücherbus, der dort regelmäßig steht. Da sie nicht zugeben mag, dass sie sich nicht für Bücher interessiert, nimmt sie aus lauter Höflichkeit ein Buch mit.
Königliches Lesevergnügen
Wir wissen ja von den Cartoonisten Greser und Lenz: „Lesen, das geht ein, zwei Jahre gut, dann bist Du süchtig!“ Bei der Queen schlägt die Sucht sogar ein gutes Stück schneller zu. Einmal angefangen vernachlässigt sie bald die sonst in steter Gleichförmigkeit ablaufenden Rituale von Empfängen. Sie kümmert sich nicht mehr darum, täglich tipptopp in neuer Kleidung zu erscheinen. Und sie stellt vor allem auf einmal Fragen, die ihre an Monotonität gewöhnte Umgebung vollständig ratlos zurücklassen. Um ihrer neu entdeckten Leidenschaft nachkommen zu können, entzieht sie sich so gut es nur irgend geht allen möglichen Bereichen ihres sonst so streng durchgetakteten Regierungsalltags.
Das ist an sich schon sehr amüsant – wie aber Alan Bennett in die bekanntlich wenig an Literatur interessierte Elizabeth II. eine Lesemanie hineindichtet, ist herrlich. Als die Queen bei einem Dinner mit dem französischen Präsidenten auf Jean Genet zu sprechen kommt, ergibt sich folgende Szene:
„Da der Präsident auf Konversation über einen kahlköpfigen Skandalschriftsteller nicht vorbereitet war, hielt er hektisch nach seiner Kulturministerin Ausschau. Doch die wurde gerade vom Erzbischof von Canterbury angesprochen. „Jean Genet“, wiederholte die Queen hilfsbereit. „Vous le connaissez?“ „Bien sur“, antwortete der Präsident. „Il m’interesse“, sagte die Queen. „Vraiment?“ Der Präsident ließ den Löffel sinken. Das würde ein langer Abend werden.“
Und mit dem Löffel sinkt des Präsidenten Mut. Bloßgestellt würde er werden von einer sonst als ganz harmlos eingeordneten Kollegin in Amtsgeschäften. Die verzweifelt herbeigesehnte Kulturministerin ist auch nicht verfügbar. Dass Bennett eben mit dieser Szene seine Erzählung beginnt, die so ganz typisch für viele weitere des kleinen Büchleins sein wird, zeigt den Meister. Länge und Pointen stimmen, die Sprache ist knapp, elegant und trifft den Ton im Palast. Feiner, englischer Humor. Die Bediensteten geben sich untertänig und machen sich doch ihre eigenen Gedanken zu den neuen Entwicklungen. Der Gatte der Queen verkommt zur bloßen Staffage. Jedoch bekommen nach und nach die Bediensteten Farbe. Die Queen nimmt differenzierter wahr, sie erkundigt sich nach den Menschen, die sie vorher nicht wahrgenommen hat.
Ein Lobgesang auf die Macht des Lesens
Das Büchlein ist eine Hymne auf das Lesen und ein sympathisch-augenzwinkernder Blick auf die Monarchie. Für die 114 Seiten des Büchleins hat man eine amüsante, aber sicher nicht triviale Lektüre. Wer danach noch nicht genug von Bennett hat, dem sei auch sein „Cosi fan tutte“ empfohlen, wo ein Ehepaar nach einem Abend in der Oper die Wohnung ausgeräumt vorfindet. Die beiden arrangieren sich und alles ist schräg und erstaunlich. Was erzähl ich. Bennett sollte man selbst lesen. Es lohnt!
Wagenbach, 16 Euro
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