Wer will schon über die privaten Gedanken und das Alltagsleben einer Comiczeichnerin in einer Graphic Novel lesen? Na, ich! Vor allem, wenn jede Seite ein Gemälde ist und der Text schonungslos ehrlich. Das lohnt!
Was macht ein Zuhause aus? Die Dachgeschosswohnung, die die Autorin bewohnt seit sie 17 ist? Oder der eigene Körper? Die Freunde und Beziehungen? Und womit fühlt sich die Autorin letztlich daheim, wo hakt es?
Die Autorin und Illustratorin Paulina Stulin hat mit „Bei mir zuhause“ einen echten Wälzer vorgelegt- über 600 gewichtige Seiten. Ganz wie das Cover sieht jedes Panel nach einem Acrylgemälde aus- ist aber am Rechner erstellt.
Alles ist sehr lebendig, die Farben sind realistisch und auch die Darstellungen selbst sind ungeschönt. Paulina malt sich nicht schlank und glatt und die Ereignisse und Dialoge haben mich manchmal schlucken lassen. Da ist eine wütende Frau, die sich nichts bieten lässt und für ihre Ansichten eintritt. Beim Gespräch mit einer Ärztin gibt sie locker zu, welche Drogen sie nimmt und auf einer Party kommt es zu einem heftigen Streit über Flüchtlingspolitik mit einem anderen Gast, den sie gerade kennengelernt hat. Da ist lange nicht alles schön und glatt und froh und zum direkten Zuhausefühlen für mich.
Besonders sympathisch sind mir die selbstkritischen Momente, in denen die Protagonistin z.B. einmal sagt „Whoa, ich bin die größte Heuchlerin auf diesem Planeten.“ Genau dieses Kantige macht den Charme des Buchs aus, das ich sehr schnell und gespannt durchgelesen habe.
Wie so häufig erlebe ich auch diese Graphic Novel als etwas ganz Besonderes, als eine Möglichkeit in andere Köpfe und Leben zu schauen. Die Bilder machen all das für mich noch um eine Ebene tiefer als es ein bloßer Text könnte. Manchmal sind es gerade die Bilder ohne Text, die sehr eindrücklich sind. Trotz der vielen Seiten ist hier die Geschichte mit Bildern und Worten knapp dargestellt- es passiert viel im kleinen Raum dieser einen Person.
Unter dem Link zum Buch findet Ihr auch einen Comic der Autorin, in dem sie mit der Verlegerin des Jaja-Verlags spricht. Die direkte Rede der Comicpanels wird in einem YouTube- Video von den beiden gesprochen. Nochmal ein sehr netter, weiterer Einblick in die Arbeit von Autorin und Verlag!
Paulina Stulin wurde 1985 in Breslau geboren, studierte Kommunikationsdesign und sagt von sich auf ihrem Blog, dass sie gerne wilde Diskussionen über Gott und die Welt anzettelt. Zum Zeichnen arbeitet sie als pädagogische Betreuung für Jugendliche.
Jaja Verlag, 35 Euro
Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenlos als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür! Diese Tatsache hat keine Auswirkung auf meine Beurteilung des Buchs.
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