Aleppo- Krieg, Verletzte, Stress und Chaos. Penelope ist Chirurgin und setzt sich dem Leid in mehrmonatigen Einsätzen aus. Aber sie ist nicht nur das. Sie ist auch Mutter einer 13-jährigen Tochter und Ehefrau eines Dichters, der in Belgien das Alltagsleben der Familie schmeißt. Diese beiden Leben haben nichts und doch wieder sehr viel miteinander zu tun.

Diese Graphic Novel hat mich sofort begeistert: Der lockere Aquarellstil, das Unperfekte, Zweifelnde der Hauptfigur, die Darstellung zweier sehr unterschiedlicher Schauplätze.

Große Fragen stellen sich ganz unweigerlich. Was ist moralisch geboten? Sollte man sich um die sehr bedürftigen Menschen in einem Kriegsgebiet kümmern oder besser zu Hause jeden Entwicklungsschritt des Kindes begleiten? Gibt es da eine klare Antwort? Nein, natürlich nicht. Beides ist wichtig, beides geht jedoch nicht gleichzeitig. Penelope gibt ihr Bestes, sie will für alle da sein. Und sie ist natürlich traumatisiert von all dem Schrecklichen und zerrissen zwischen den beiden Lebenswelten. Ihr eigenen Probleme treten aber eher zurück. Man merkt, wie wichtig es ihr ist, für andere da zu sein. Und trotzdem stößt sie auf Vorwürfe und Fragen ihrer Umwelt.

Die erste Menstruation der Tochter wird nicht von Penelope begleitet, sondern von deren Mutter. Für den ersten Liebeskummer kommt die Tochter zum verständnisvollen Vater. Die Tochter mag die Mutter, keine Frage. Umgekehrt sitzt Penelope oft nachts am Bett der Tochter. Aber die ganz enge Beziehung, die durch ein tägliches Miteinander entstehen kann, ist da nicht. Auch tun sich einige in der Familie schwer zu verstehen, warum Penelope nicht aufhört mit den Kriseneinsätzen.

Ganz nebenbei geht es in der Graphic Novel um Rollenmodelle – hier ist der Vater Hauptansprechpartner und arbeitet im Haushalt und die Frau ist auf weiter Reise. So wird auch die Geschichte von Homers Odyssee in ein modernes Szenario verlegt und verkehrt. Nicht der Mann reist, sondern seine Frau- Penelope, die bei Homer die Zeit mit Warten auf den geliebten Mann zubringt.

Judith Vanistendael hat mich schon einmal mit einer Graphic Novel beeindruckt. Ihr Buch „Als David seine Stimme verlor“ war ähnlich eindrücklich und existentiell wie „Penelope“. Dort geht es um einen Mann, dessen Kehlkopfkrebs und die nötige Operation dazu führen, dass er nicht mehr sprechen kann. Der Umgang mit Krankheit und drohendem Tod, aber auch mit den schönen Momenten des Lebens hat mich sehr berührt.

Ich freue mich auf weitere Bücher der Autorin, die es schafft, schwierige Themen auf den Punkt zu bringen und so zu illustrieren, dass ich nicht aufhören kann zu lesen.

Reprodukt , 20 Euro

„Penelopes zwei Leben“ von Judith Vanistendael wurde mir als EBook vom Verlag zur Verfügung gestellt. Diese Tatsache hat keinen Einfluss auf meine Meinung über das Buch.