Andrea Potzlers Vor-Allem-Bücher-Seite

Kategorie: Kurzkritiken (Seite 8 von 9)

„Szenen einer drohenden Heirat. Ein voreheliches Memoir“ von Adrian Tomine

Hochzeiten vorbereiten ist ein bisschen wie Weihnachten vorbereiten, nur noch um eine gute Ecke schwieriger. Natürlich, der Tag soll schön werden. Am besten schön für alle, für die Verwandtschaft und die Freunde, für einen selbst. Für den einen Tag braucht es oft Monate an Planung, Überlegung, Basteln und vor allem Telefonate mit engen Freunden, wo man sich von Geldsorgen zu kleineren Streitereien vieles von der Seele redet. Im Grunde weiß jeder, der mal auf einer war, dass Hochzeiten kein Leichtes sind- nicht vorher und häufig nicht mal währenddessen.

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„Ginpuin – Auf der Suche nach dem großen Glück“ von Barbara van den Speulhof (Text) und Henrike Wilson (Illustration)

Der Ginpuin unterscheidet sich äußerlich in nichts von den anderen Pinguinen. Aber bei ihm wird aus einem „Fisch“ schon mal ein „Schiff“ und „Stummigiefel“ kommen statt „Gummistiefel“ raus. So fühlt sich der Ginpuin nicht recht wohl daheim und beschließt „Ich rache eine Meise“, um am Ende doch wieder zu seinen Freunden heimzukehren, die ihn dann doch sehr vermisst haben. So erfährt er die Freude, Freunde in der Ferne zu finden und auch die, daheim letztlich sehr geschätzt zu werden. Nicht nur trotz, sondern wegen seiner besonderen Aussprache, die dann zum Trend unter den Pinguinen wird.

Das Bilderbuch wurde von meinem fünfjährigen Patenkind begeistert und lachend aufgenommen- alle Wortverdreher konnte sie sofort richtigstellen. Es wurde mir aber zugetragen, dass der Opa sich mit dem Vorlesen nicht so ganz leicht getan hat. Die großformatigen Bilder in Acryl? Gouache? haben uns Kindern (groß und klein) sehr gefallen. Auch wer keine eigenen Kinder hat und das Buch mal in die Hände kriegt: Lesen! Es macht froh!

Offizielle Altersempfehlung: ab vier.

Verlag: Coppenrath

14 Euro

„Wie ein leeres Blatt“ von Boulet und Pénélope Bagieu

Eloise sitzt auf einer Parkbank und weiß nichts mehr: Nicht, wie sie heißt ist, woher sie kommt, wer ihre Freunde oder Familie sind, wo sie arbeitet oder wohnt. Was mit ihr passiert ist, dass es dazu kommen konnte, ist ebenfalls unklar. Eine Tasche mit ihrem Ausweis führen sie zu ihrer Pariser Wohnung und Katze und wie ein Detektiv erforscht sie die Zusammenhänge, die sie dort findet. Zudem führt sie ihre Fantasie zu allerlei Ideen, was ihr Leben sein hätte können.

Besonders interessant wird die Beschäftigung mit der Person, die Eloise häufig nicht als „ich“, sondern als „sie“ beschreibt für mich, wenn sie sich wundert: „Wirklich, das sind meine Freunde? Diese süßen Düfte mag ich? Dieser Typ hat mich fasziniert?“ Und daraus entsteht natürlich auch die Frage: „Wer will ich jetzt sein und welches Leben passt zu mir?“

Ich habe das Buch gespannt und schnell durchgelesen, einerseits um zu erfahren, wie es überhaupt zu diesem Gedächtnisverlust kam, aber andrerseits doch viel mehr um herauszufinden, wie sich Eloise in ihr Leben als „leeres Blatt“ einfindet. Mich hat es zum Denken gebracht darüber, dass man immer wieder fragen kann, was zum eigenen Leben gehört und wo man auch ganz ohne Gedächtnisverlust in eine andere Richtung gehen kann.

Die Zeichnungen sind eingängig, munter-bunt, das Buch hat eine große Leichtigkeit mit einigem Humor. Eloise findet sich ein in das, was ist. Allzu viele Worte macht es nicht und braucht es auch nicht.

„Wie ein leeres Blatt“ wurde 2014 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.

„Die vierzig Geheimnisse der Liebe“ von Elif Shafak


Ella, eine Hausfrau und Mutter unserer Zeit, die immer mehr die Distanz zu ihrem fremdgehenden Ehemann spürt, bekommt den Auftrag einen Roman mit dem Titel „Süße Blasphemie“ für eine Literaturagentur zu begutachten. Im Laufe der Lektüre tritt sie in Kontakt mit dem Autor des Buchs und erzählt ihm von sich und ihren Sorgen. „ Süße Blasphemie“ befasst sich mit der Zeit des Mystiker Rumi und einigen anderen Personen des dreizehnten Jahrhunderts, die sich um ihn scharen- von Prostituierten  bis zu Derwischen. Auf dieser Ebene erfährt man einiges über den Sufismus und bekommt einen sanftmütigen Islam präsentiert, der eine Alternative zu heute oft sehr kritisch betrachteten Aspekten eines radikal ausgelegten Islam bieten kann. 

Das Buch liest sich flüssig, allerdings fehlt es den Figuren an Farbe. Ella ist das Klischee einer unausgefüllten Hausfrau, die Figuren des Romans im Roman wirken ununterscheidbar blass, was auch an der einheitlichen Sprache aller liegen mag- erstaunlich, schließlich hat man es mal mit dem einundzwanzigsten und dann mit dem dreizehnten Jahrhundert zu tun. Auch die vierzig Geheimnisse der Liebe sind manchmal erhellende Überlegungen, meist eher uns bekannte Allgemeinplätze. „Wenn Gott alle Menschen gleich gewollt hätte, hätte er sie so erschaffen“, heißt es auf Seite 206 oder „Wenn du willst, dass andere dich anders behandeln, musst du zuerst dich selbst anders behandeln“, auf Seite 199. Auch ist mir nicht klar geworden, warum Ella auf einmal Gutachterin wird- es hätte für die Geschichte vollkommen gereicht und sie sogar plausibler gemacht, Shafak hätte sie als Leserin eingeführt, die mit dem Autor in Kontakt tritt. 

Das Buch verkauft sich offenbar nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland sehr gut und bot meinem Literaturkreis anregenden Diskussionsstoff – schließlich werden persönliche, historische und spirituelle Themen behandelt. Das allerdings kommt etwas locker und oberflächlich daher. Mir scheint es, als wäre das Werk von einer erfahrenen Autorin auf Erfolg gestrickt: In Ella können sich vermutlich einige Frauen wiederfinden, in den historischen Figuren dann auch solche Leser, die sich nicht nur unterhalten lassen, sondern auch weiterbilden möchten. Aber all das wirkte für mich eher gewollt als wirklich aus den Figuren heraus erzählt. Ein Buch, das mich nicht schrecklich aufgeregt, das mich aber auch nicht stark berührt oder fasziniert hat. 

Elif Shafak ist eine zeitgenössische Autorin, die mittlerweile in London lebt. Sie ist Tochter türkischer Eltern und hat in Ankara in Politikwissenschaft promoviert. 

„Jetzt noch nicht aber irgendwann schon“ von Martin Simons


Ich glaube, dass sich jeder für die meiste Zeit seines Lebens für unsterblich hält. Die Vorstellung, dass das eigene Bewusstsein irgendwann nicht mehr da sein könnte und damit wirklich alles, alles für einen verschwunden, ist uns nur theoretisch vollkommen klar. Aber so richtig bewusst, so dass man es durch und durch verstanden und irgendwie im Gefühl hat und sich in diese Tatsache einfindet- in so einem Zustand sind wir selten. So immer in Gedanken an das eigene Ende lässt sich der Alltag wohl auch nicht gut bewältigen. 

Autor Martin Simons beschreibt in seinem autobiographischen Büchlein „Jetzt noch nicht aber irgendwann schon“ wie ihn eine Hirnblutung ganz plötzlich aus der alltäglichen vermeintlichen Unsterblichkeit gerissen hat. Wie wird es weitergehen? Wird eine zweite Hirnblutung auftreten? Ist die Ursache gar ein Tumor, der zum baldigen Tod führt? Wird er wieder so leben können wie früher? Simons schreibt von einem Weihnachten im Krankenhaus, von all dem Warten, der Ungewissheit. Aber auch von seiner Familie, seinen Eltern, seiner Frau und dem kleinen Kind. Diese Ungewissheit und existentielle Bedrohung könnte einen als Leser natürlich unglücklich machen. So ein Buch kann aber auch genau das Gegenteil bewirken: besondere Dankbarkeit für das eigene Leben, dafür, dass vermutlich noch viel zu erleben und genießen bleibt. Und so habe ich mit Spannung und viel zu lange in die Nacht hinein immer weiter gelesen. Auch wenn durch die Tatsache der Autobiographie natürlich klar ist, dass der Autor überleben wird. Zumindest jetzt.

Auch der Titel ist dafür wunderbar gewählt. Simons beschreibt so, dass ich das Gefühl hatte, er ist selbst für seine Endlichkeit erwacht- irgendwann wird es vorbei sein, aber jetzt eben noch nicht. Will man so eine Erfahrung unbedingt selbst machen? Vielleicht lieber nicht. Aber darüber lesen , dabei über das eigene Leben durch die Erfahrungen eines anderen nachdenken, das ist doch immer wieder ungeheuer lohnend und macht einen großen Teil dessen aus, was Bücher für mich bedeuten. 

„Marsch der Krabben“ von Arthur de Pins

Was für eine grandiose Graphic Novel in drei Teilen. Die Geschichte ist schnell erzählt: Es gibt Krabben, die nur in eine Richtung laufen können, immer vor und zurück. So sehen sie freilich wenig von der Welt. Eines Tages kommen zwei von ihnen drauf, dass sie sich gegenseitig tragen könnten und somit ganze andere Teile ihrer Welt sehen. In einer für sie lebensbedrohlichen Situation passiert dann das unglaubliche: Eine Krabbe dreht sich und alle stellen fest, dass es den Krabben all die Zeit sehr wohl möglich war, sich in andere Richtungen zu bewegen, dass sie sich dessen nur nicht bewusst waren. Welche Folgen das hat, wird hier wunderbar farbig geschildert.

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